The Festival

Ein Festival mit enormem Potential

von Marco Solari

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Als ich im Jahr 2000 die Präsidentschaft des Locarno Film Festival übernahm, waren nur ein halbes Dutzend Vollzeitmitarbeitende in Locarno und die gestellte Aufgabe war voller Grundsatzfragen: Die Finanzierung selbstverständlich, aber vor allem: Was sollte Locarno eigentlich sein? Ein kulturelles Erlebnis auf höchstem Niveau, welches das Engagement der Schweiz für die Kunst und die Filmkultur in den Augen der Welt nachhaltig repräsentiert oder eher ein Nischenfestival? Die Antwort war klar. Locarno sollte weiterhin ein Weltfestival bleiben. Von diesem Moment an habe ich all meine Energie dafür aufgewendet, das Ansehen Locarnos zu fördern, die Veranstaltung weiterzuentwickeln und sie unter den zehn wichtigsten Festivals der Welt zu positionieren.

 

In den letzten 23 Jahren hat sich nicht nur die Welt verändert, sondern auch das Kino. Neue Technologien haben sich durchgesetzt und damit neue Gewohnheiten des Kulturkonsums ermöglicht. Angesichts dieser Umbrüche wurde mir klar, dass als Institution stehen zu bleiben und in Unbeweglichkeit zu verharren das Ende von Locarno wäre. Nur durch stetige Veränderung kann sich das Festival entwickeln und behaupten. Nicht zuletzt dank seiner Experimentierfreudigkeit konnte sich unsere Veranstaltung in den letzten Jahren auch im Bereich der Digitalisierung und in der Bildung eine Vorbildfunktion erschaffen.

Das Entstehen zahlreicher Konkurrenzveranstaltungen auf der ganzen Welt hat uns zusätzlich angespornt. Das Team ist motiviert den Ruf von Locarno auf der grossen Weltbühne nicht nur zu bewahren,sondern auch auszubauen.

 

Die Positionierung als das «freieste Festival der Welt» Festival wurde zu unserem Markenzeichen. Seit 1946 lebt und verteidigt das Locarno Film Festival die Werte der Aufklärung – die Menschenwürde, die Meinungsfreiheit, den Respekt für das Individuum. So ist Locarno auch der Ort, an dem der künstlerische Leiter vollumgängliche Entscheidungsfreiheit in der Programmgestaltung hat. Das Programm zielt in erster Linie darauf ab, Talente zu entdecken, unter anderem dort, wo deren Entfaltung durch schwierige politische oder wirtschaftliche Bedingungen behindert wird. Der künstlerische Leiter, der allein und unabhängig für die Zusammenstellung des Programms verantwortlich ist, sollte nicht mit organisatorischen Problemen belastet werden, die in den Aufgabenbereich des Managing Directors fallen. So ist die Funktion des Managing Directors von essentieller Bedeutung für Locarno.

 

Ich durfte in Locarno in diesen über zwanzig Jahren den Wechsel der Generationen erleben mit denMitstreiterinnen und Mitstreiter der ersten Stunde, dann deren Söhne und Töchter, die ihrerseits Teil des Festivalteams wurden. Und heute sind es bereits die Enkelkinder der ersten Generation, die in deren Fussstapfen treten und sich für unser Festival einsetzen, damit das Kino auch weiterhin unabdingbare Gemeinschaft und Gefühle erzeugt.

 

Für mich ist es Zeit zu gehen, doch ich blicke mit Zuversicht in die Zukunft. Was mich persönlich betrifft, freue ich mich dem Prinzip der Berner Patrizier «Servir et disparaître» zu folgen, im Wissen, dass ich ein Festival mit grossem Potenzial hinterlasse.

Marco Solari  
Präsident des Locarno Film Festivals